Brief an eine Hexe

Leseprobe aus "Brief an eine Hexe"

hexe

In fiktiven Briefen an eine reale Person zeichnet Katja Wolff den exemplarischen Fall einer Frau nach, die Schritt für Schritt und ohne es zu merken in den Sumpf des Okkultismus abglitt, bis sie schließlich gar nichts anderes mehr konnte, als anderen Menschen aus eigensüchtigen Motiven Böses zuzufügen.

Zum Verlag: https://crescer-publishing.de/produkt/katja-wolff-brief-an-eine-hexe

 

1

Erinnerst Du Dich noch an Stefan aus Bulgarien? Du hattest gerade Deine Heilgabe entdeckt und festgestellt, daß sich damit gutes Geld verdienen läßt. Schräg gegenüber von Deiner Wohnung war eine Kirche. Die hast Du nie von innen gesehen. Und Stefan sagte: Bevor Du einen Menschen heilst, mußt Du in die Kirche gehen und Gott fragen, ob es überhaupt sein Wille ist, daß der Betreffende gesund wird.

Darüber hast Du Dich dann lustig gemacht. Ich zuerst auch, jedenfalls ein bißchen, weil ich meinte: Man muß doch nicht in eine Kirche gehen, um Gott etwas zu fragen. Das geht zu Hause genauso gut. Ansonsten fand ich Stefans Rat aber gar nicht so abwegig. Schon damals nicht. Heute würde ich noch einen Schritt weiter gehen  als Stefan und jemandem wie Dir raten: Frage Gott zuerst, ob diese Gabe überhaupt von ihm kommt.

Aber ich fürchte, das interessiert Dich gar nicht. Heute noch weniger als damals. Denn mittlerweile kannst Du nicht nur heilen, sondern auch das Gegenteil davon. Das ist jedenfalls Deine Überzeugung. Und wenn ich mir anschaue, wie viele Menschen, an denen Du Dich rächen wolltest, inzwischen krank geworden oder sogar verstorben sind, dann kann ich nicht so ohne weiteres sagen: „Du spinnst!“

Irgendwie ist es wirklich eigenartig. Manche würden vielleicht sagen: Das sind Zufälle. Mit dem Wort „Zufall“ wird immer wieder gern versucht, Tatbestände wegzuerklären, die einem nicht ganz geheuer sind. Aber wenn solche „Zufälle“ sich häufen, dann sollte auch der hartnäckigste Zweifler ins Grübeln kommen. Ich glaube aber nicht an Zufälle.

Auch ohne voreilige Erklärungen an den Haaren herbeiziehen zu wollen, muß man ganz neutral feststellen: Es gab eine gewisse Anzahl von Menschen, auf die Du einen Haß hattest. Und bis auf wenige Ausnahmen geht es diesen Menschen heute, soweit sie noch am Leben sind, überhaupt nicht gut. Ich fürchte, diese Tatsache erfüllt Dich mit tiefer Befriedigung.

2

Bevor Du mit diesem Zirkel von Damen, die sich für das Übersinnliche interessierten, in Kontakt gekommen bist, warst Du eine ganz normale, durchschnittliche Frau. Dein Lebenslauf unterschied sich nicht von dem Millionen anderer. Verliebt – verlobt – verheiratet – geschieden, das ist ja inzwischen traurige Normalität. Enttäuschungen und Katastrophen sind Dir nicht erspart geblieben, aber wer könnte schon von sich sagen, daß sein Leben immer leicht und angenehm war? Auch teiltest Du die geheime Grundüberzeugung der überwiegenden Mehrheit, nämlich irgendwie etwas Besseres zu sein als der Durchschnitt, und etwas Besseres verdient zu haben als das, was Du hattest.

Das alles mag harmlos sein oder nicht – es unterschied Dich jedenfalls in keiner Weise von anderen Frauen. Und dann nahm Dich eine Deiner Freundinnen irgendwann in diesen Zirkel mit. Jeden Dienstag. Kein magischer Zirkel, kein spiritistischer Zirkel, keine Hexen oder Wahrsagerinnen – einfach ein knappes Dutzend durchschnittlicher, harmloser Frauen, die sich für Reiki interessierten, ohne genau verstanden zu haben, was das eigentlich ist.

Du bist nie eine große Gehirnakrobatin gewesen und hast eigentlich – abgesehen von Illustrierten – nie etwas gelesen. Deine Informationen hast Du in erster Linie aus dem bezogen, was andere Dir so erzählten. Und sie erzählten Dir: Reiki sei eine tolle Sache. Da werde kosmische Lebenskraft übertragen. Dadurch werde man gesund, schön und erfolgreich. Man könne auch Kranke heilen und auf diese Weise viel Gutes tun. Also habt Ihr Euch gegenseitig die Hände aufgelegt und Euch gefreut, wenn eine von Euch sagte, sie könne dabei ein Kribbeln spüren. Darüber könnte man lächeln, wenn es harmlos wäre.

Die meisten von Euch hatten irgendwelche geringfügigen gesundheitlichen Probleme, und wenn Ihr Euch voneinander verabschiedetet, habt Ihr Euch gegenseitig erzählt. Wie viel besser es Euch nach der „Behandlung“ ginge.

Naja. Vielleicht tat es Euch ja auch einfach nur gut, einander gegenseitig Zuwendung zu geben. Jedenfalls am Anfang. Nach einer Weile behaupteten verschiedene Damen des Zirkels, das Kribbeln sei am stärksten, wenn Du die Hand auflegtest. Das wird Dich natürlich gefreut haben. Jeder ist begeistert, wenn andere ihm sagen, er hätte ein großes Talent. Das ist natürlich mit Anerkennung durch die Gruppe verbunden und gibt einem die lang ersehnte Bestätigung für das, was man immer schon glaubte: Daß man nämlich irgendwie doch etwas ganz Besonderes ist, auch wenn es bisher niemand begriffen hat.

Nach einer Weile warst Du zwar nicht unbedingt der Star des Zirkels, aber doch diejenige unter den Damen, von der man sagte, sie hätte die größte Heilkraft. Oder die Reiki-Energie würde durch Deine Hände am stärksten fließen. Wie immer sie das in Worte gefaßt haben mögen – sie vermittelten Dir das Gefühl: Reiki bringt Erfolg, Anerkennung und Beliebtheit.

Bald kamen einzelne Damen des Zirkels privat zu Dir nach Hause, um sich von Dir ganz allein die Hände auflegen zu lassen. Hinterher hast Du mit ihnen nett Tee getrunken und geplaudert, so daß der Nachmittag für die Gäste ein unterhaltsames Erlebnis war.

Einige empfahlen Dich an Bekannte weiter, und irgendwann kam der erste Fremde, der bereit war, für das Handauflegen Geld zu bezahlen. Ab diesem Moment hast Du angefangen, so etwas wie beruflichen Ehrgeiz zu entwickeln und Dich „weiterzubilden“. Plötzlich hast Du sogar Bücher gelesen. Daß sich mit Deinem „Talent“ leicht und angenehm Geld verdienen ließ, hat Dich stark motiviert. Auf einmal hattest Du einen Lebensinhalt und ein Ziel: Geistheilerin zu werden. Das versprach Geld, Anerkennung und die Chance, viele interessante Menschen kennenzulernen.

So fing alles an.

3

Wenn man die Dinge danach beurteilt, was sie letztlich aus einem machen, dann muß man sagen, dieser „harmlose“ Damenzirkel war eine ganz böse, gefährliche Sache. Natürlich wurde dort auch nicht nur die Hand aufgelegt, sondern auch viel geredet. Das kann gar nicht ausbleiben, wenn so viele Damen gemeinsam in einem Raum sind. Die Gesprächsthemen waren in erster Linie alternative Heilmethoden – alles, was irgendwie mit Gesundheit zusammenhing, aber keine profunden medizinischen Kenntnisse voraussetzte. Irgend jemand trug immer wieder neue Ideen in die Gruppe hinein: Edelsteintherapie, Aromatherapie, Meditationstechniken, Halbwissen über Heilkräuter und Astrologie, Yoga und dies und das. Eine von Euch war von irgend etwas begeistert, und die anderen probierten es dann auch mal aus. Man lieh sich gegenseitig Bücher und gab sich Geheimtipps, und bevor eine Sache anstrengend und langweilig werden konnte, kam auch gleich schon die nächste. Manche, die etwas mehr Geld hatten, besuchten irgendwelche teuren Wochenend-Seminare und ließen dann am Dienstag alle anderen Gruppenmitglieder an den neu gewonnenen Erkenntnissen teilhaben. Das zog sich so über zwei, drei Jahre hin. Am Ende bist Du nur noch alle zwei Wochen, dann alle drei, dann einmal im  Monat und schließlich gar nicht mehr zu diesem Reiki-Zirkel gegangen. Er konnte Dir nichts mehr bieten. In gewisser Weise war Deine Grundausbildung abgeschlossen.

4

Deine Patienten waren von Dir begeistert. Sie erzählten ihren Bekannten von Dir, immer mehr Kranke und Ratsuchende wandten sich an Dich. Bald traute man Dir sogar zu, Du könntest einen Komapatienten ins normale Leben zurückholen. Fast ein Jahr lang hast Du es vergeblich versucht. Es ist Dir nicht gelungen.

Es war vielleicht nicht sehr klug von Dir, jedem Patienten davon zu erzählen, daß Du sogar einen Komapatienten „in Behandlung“ hattest. Denn auch das sprach sich herum. Und bald warteten praktisch alle, die Dich kannten, auf die Nachricht von einem Wunder. Hin und wieder hieß es, er habe seine Hand bewegt oder seine Augen geöffnet. Aber nach einem Jahr war er tot. Friedlich entschlafen. Seine Familie trauerte, fand sich aber damit ab.

Manch einer begann, spöttische Bemerkungen über Dich zu machen. Genauso plötzlich, wie Deine Karriere als Wunderheilerin begonnen hatte, schien sie nun auch wieder beendet. Die Anzahl Deiner Patienten ging rapide zurück. Das hatte natürlich auch höchst unerfreuliche finanzielle Konsequenzen für Dich. Wenn man sich an das leicht verdiente „schnelle Geld“ gewöhnt hat, fällt es wohl nicht ganz leicht, die Ansprüche wieder zurückzuschrauben.

An diesem Punkt der Entwicklung hättest Du vielleicht noch sagen können: „Okay, ich höre mit diesen ganzen Sachen auf, ziehe in eine andere Stadt und vergesse die ganze Angelegenheit.“ Aber Du wärest nicht Du, wenn Du das getan hättest. Statt dessen hast Du angefangen, Deinen Freundinnen die Karten zu legen. Als Wunderheilerin warst Du zunächst mal gescheitert. Also hast Du es als Wahrsagerin versucht und darauf gehofft, daß zufriedene Kunden über Mundpropaganda nach und nach für Zulauf sorgen werden. Diese Rechnung ging tatsächlich auf. Offenbar ließ sich mit Wahrsagerei sehr viel schneller sehr viel mehr Geld verdienen als mit der „Übertragung kosmischer Heilenergien“. Die Leute kamen mit ihren Sorgen, Problemen und Fragen zu Dir. Du hast ihnen geduldig zugehört, hin und wieder auf die Karten geblickt und sie getröstet.

Das ging auch gut, solange Du nicht glaubtest, Du hättest einen „sechsten Sinn“ und könntest via Intuition Informationen aus „den höheren Bereichen anzapfen“. Aber Dein Erfolg ist Dir wieder zu Kopf gestiegen. Irgendwann wird jeder Wahrsager gefragt: „Wenn Sie die Zukunft vorhersagen können – warum blicken Sie dann nicht einfach in die nächste Woche und gucken, welche Lottozahlen gezogen werden?“

Diese Frage wurde natürlich auch Dir gestellt. Das war die Nagelprobe. Also hast Du versucht, die Lottozahlen aus den Karten herauszulesen und durch einen Sechser den Beweis Deiner Fähigkeiten zu erbringen. Das hat nicht geklappt. Aber die Sache ließ Dir keine Ruhe. Hin und wieder hattest Du es gewagt, Deinen Kunden zukünftige Ereignisse zu prophezeien, und einiges davon war tatsächlich eingetreten. Also blieb der unausgesprochene Vorwurf im Raum stehen: Ein Wahrsager, der nicht steinreich ist, kann kein Wahrsager sein.

Natürlich gibt es allerhand faule Ausreden nach dem Motto: „Es wäre ein Mißbrauch der übersinnlichen Fähigkeiten, sie für so etwas Profanes und Egoistisches wie persönlichen Reichtum einzusetzen.“ Das hast Du vielleicht den Leuten erzählt.

Geglaubt hast Du es keine Sekunde.

5

Vorhersagen konntest Du die Lottozahlen nicht. Das ging gründlich daneben. Die Übersinnlichkeit brachte nicht den erhofften Sechser. Aber aus Deiner Zeit als Heilerin hattest Du die Überzeugung in Deinen nächsten Lebensabschnitt als Wahrsagerin mitgebracht, daß es möglich sei, kosmische Kräfte zu lenken, zu steuern und mit ihnen auf die Dinge einzuwirken. Also bist Du auf den Gedanken gekommen: Wenn es nicht gelingt, die Lottozahlen vorherzusagen, vielleicht gelingt es dann, durch magische Kraft die Ziehung der Lottozahlen zu beeinflussen?

Vielleicht war es nur konsequent, daß Du auf diese Idee verfallen mußtest. Ich muß ganz ehrlich gestehen: Mich amüsiert die Vorstellung, wie Du Woche für Woche vor dem Fernseher gesessen und versucht hast, das Ziehungsgerät und die Kugeln durch „kosmische Kraft“ zu manipulieren. Das muß ein witziger Anblick gewesen sein! Das brachte zwar keinen Sechser, aber immerhin zwei Vierer in Folge und gab Dir das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Eines Tages kam Deine beste Freundin auf die Idee, ins Spielcasino zu gehen und Roulett zu spielen. Sie war damals noch sehr reich, und auch Du hattest einige Ersparnisse. Wahrscheinlich hast Du Dir überlegt: Eine einzige Kugel durch die Kraft der Gedanken zu beeinflussen, ist leichter, als sechs aus neunundvierzig Kugeln plus ein Ziehungsgerät durch „kosmische Energie“ zu lenken. Der Gedanke ist naheliegend. Er mußte sich förmlich aufdrängen.

Deine Freundin und Du, Ihr hattet beide jeweils einen Hunderter in der Handtasche, als Ihr das Spielcasino betreten habt. Verlassen hast Du das Spielcasino einige Stunden später mit einem dicken Bündel Hunderter.

Vielleicht war dies die größte Katastrophe Deines Lebens. Jedenfalls im Hinblick auf die Folgen.

6

Der Volksmund sagt, jemand könne von einem Spielteufel besessen sein. Mir scheint dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Vielleicht ist die Vorstellung, ein Teufelchen habe sich auf Deine Schulter gehockt und Dir permanent eingeflüstert: „Du mußt heute wieder ins Spielcasino! Du mußt heute wieder ins Spielcasino!“ etwas naiv. Wahrscheinlich nämlich war der Spielteufel, den Du Dir da eingefangen hast, weder klein noch hat er geflüstert. Es muß ein riesiger Kerl gewesen sein, der permanent brüllte. Tatsache ist jedenfalls: Zuerst ist Du regelmäßig einmal die Woche ins Spielcasino gegangen. Dann zweimal die Woche und am Ende jeden Tag. Wenig später hattest Du überall Schulden. Das liegt wohl in der Natur der Sache. Aber je höher Deine Schulden waren, desto besessener wurdest Du von der Idee, sie durch den Gewinn einer einzigen Nacht im Spielcasino wieder loswerden zu können.

Das machte alles nur noch schlimmer. Damals ist Dir wohl erstmals der Gedanke gekommen. Du müßtest einen reichen alten Mann heiraten, der keine Kinder hat. Deine Lage wurde immer verzweifelter. Du lerntest tatsächlich einen reichen alten Mann kennen. Aber der hatte sehr wohl Kinder und wollte auch durchaus nicht heiraten. Immerhin war er kein Geizkragen. Das zeigte sich, als er starb. Er hatte Dich in seinem Testament bedacht. Und auch zu Lebzeiten war es ihm ein Vergnügen gewesen. Dir finanzielle Sorgen vom Hals zu halten. Ein echter Gentleman der alten Schule, der keine weiteren Gegenleistungen von Dir verlangte, als daß Du hin und wieder bei einer Tasse Tee mit ihm plauderst.

Irgendwann muß Dir dann auch Deine alte Erbtante wieder eingefallen sein. Du hast Dich wieder etwas mehr um sie gekümmert. Aber das war keine kluge Entscheidung gewesen, denn bald schon standet Ihr kurz vor dem Zerwürfnis. Der Termin zur Testamentsänderung beim Notar war schon anberaumt. Einen Tag vorher kam sie ins Krankenhaus. Drei Tage später war sie tot. Als Alleinerbin floß Dir eine Summe zu, die Deine kühnsten Erwartungen weit übertraf. Mit einem Minimum an Bescheidenheit und Vernunft hätte es Dir jetzt gelingen können, Dein Leben so einzurichten, daß Du Dir nie wieder Sorgen machen mußt.

Wahrscheinlich hattest Du das sogar vor. Aber Du hattest die Rechnung ohne den Spielteufel gemacht. Der hatte Dich zwar eine gewisse Zeit in Ruhe gelassen. Jetzt aber regte er sich wieder. Diesmal brauchte er allerdings mehr als zwei Jahre, um Dich erneut in den Ruin zu treiben. Wieder war es Deine Vorstellung, Du könntest den Lauf der Roulettkugel durch Deinen Willen beeinflussen, die er sich zunutze gemacht hat. Gelegentliche Gewinne hielten Dich bei der Stange. Aber unterm Strich kam natürlich nur ein fettes Minus dabei heraus. Doch Mißerfolge können paradoxerweise bewirken, daß man nur desto konsequenter den falschen Weg weiter geht. So war es auch bei Dir. Irgendwann in dieser Zeit muß Dir der teuflische Gedanke gekommen sein: Vielleicht ist es leichter, den Willen anderer Menschen zu beeinflussen als die Roulettkugel. Denn daß der Geist eines Menschen den Geist eines anderen Menschen lenken kann, so Deine Überlegung, müßte doch eigentlich einfacher sein, als durch mentale Kräfte auf feste, unbelebte Materie einzuwirken. Der Geist eines Menschen ist einfach empfänglicher als eine kleine Kugel aus Metall.

Ich denke, spätestens ab diesem Zeitpunkt warst Du eine Hexe. Der Teufel hatte Dich da, wo er Dich haben wollte.

7

Wenn Satan die Regie im Leben eines Menschen übernommen hat, dann wird eine geplante Folgerichtigkeit der Ereignisse erkennbar, die einem das Blut in den Adern gefrieren läßt. Eins ergibt sich logisch aus dem anderen, und das ganze läuft unausweichlich in Richtung Hölle.

Um den Willen anderer Menschen auf magischem Wege besser kontrollieren und beeinflussen zu können, hast Du ganz gezielt trainiert und Übungen gemacht, die unter anderem auch die Intuition stärken sollten. Die Intuition des Menschen ist eine Funktion des Geistes, vergleichbar einem Radio, das nur zwei Sender empfangen kann: Entweder der Heiligen Geist, den jeder Christ bei seiner Entscheidung für Jesus empfängt. Oder – tja… oder eben das Programm, für das Du Dich entschieden hast. Beide Programme senden Nachrichten aus der unsichtbaren Welt. Das eine Programm ist gut, das andere böse.

Irgendwann hast Du dann begonnen, den Anweisungen zu folgen, die Du mithilfe Deiner systematisch sensibilisierten Intuition empfangen hast. Vielleicht konntest Du nicht immer verstehen, warum Du ganz bestimmte Dinge tun solltest. Aber Du hast sie getan.

Ich habe lange nichts mehr von Dir gehört, aber einiges über Dich. Und ich kann nicht behaupten, daß ich alles wirklich begreife. Du bist verwandt mit einer mittlerweile älteren Dame, die seit Jahrzehnten gläubige Christin ist. Ich kann mich nicht erinnern, daß Du jemals gut über sie gesprochen hast. Neulich traf ich sie, und was sie erzählte, hat mich sehr erschreckt. Wäre ich nicht felsenfest davon überzeugt, daß diese Frau durch und durch ehrlich und anständig ist, was sie durch alles, was sie sagt und tut, jeden Tag unter Beweis stellt, dann hätte ich diese Geschichte am liebsten für ein Lügenmärchen gehalten:

Ihre alte Mutter lag im Sterben. Du wolltest sie vor ihrem Tod noch einmal sehen und hast sie besucht. Die alte Frau litt furchtbare Schmerzen und bekam starke Medikamente gegen die Schmerzen. Als Du in das Zimmer der Sterbenden kamst, lagen die starken Schmerzmittel auf dem Nachttisch. Nachdem Du Dich verabschiedet hattest, waren die Schmerzmittel verschwunden. Weg. Unauffindbar.

Gott sei Dank kam kurz darauf der Arzt, und glücklicherweise hatte er starke Schmerzmittel bei sich, so daß er die Qual der alten Frau sofort lindern konnte. Sie ist dann kurz darauf verstorben, und ihre Tochter fragt sich bis heute, warum Du das getan hast: Einer sterbenden alten Frau die dringend benötigten Schmerzmittel zu stehlen. Du bist kein Junkie, hast niemals Drogen genommen oder Medikamentenmißbrauch betrieben. Die Schmerzmittel waren für Dich absolut wertlos. Auch hatte Dir die alte Dame ihr Leben lang niemals etwas Böses getan. Die ganze Geschichte macht aus Sicht der Vernunft einfach keinen Sinn.

Vielleicht ist Dir selbst nicht einmal klar, welcher Teufel Dich geritten hat, das zu tun. Ich wähle diese Worte hier ganz bewußt. Wahrscheinlich bist Du „nur Deiner Intuition gefolgt“. Wie gesagt: Die Intuition ist wie ein Radioempfänger. Und bei Dir läuft der falsche Sender.

8

Die irdische Rechtsprechung verurteilt niemanden für böse Absichten. Justiziabel sind nur konkrete Taten, die gegen ein Gesetz verstoßen. Der moderne Gesetzgeber geht von einem materialistischen Weltbild aus, in dem es ausschließlich die Dinge gibt, die man sehen und anfassen kann.

Bis 1951 hatte in England ein Gesetz namens „Witchcraft Act“ Gültigkeit. Es stellte Magie und Hexerei unter Strafe. 1951 wurde es aufgehoben, weil kaum noch jemand etwas über Hexerei wußte – außer die Hexen und Magier selbst, die sich aber aufgrund der Strafandrohung in strikter Geheimhaltung übten.

Sicherlich haben bei der Aufhebung des Gesetzes auch humanistische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt: Die traurige Erinnerung an das unüberschaubare Heer der Unschuldigen, die seit dem Mittelalter einen qualvollen Tod gestorben waren, weil man sie der Hexerei beschuldigt hatte. Damals kam schon die bloße Beschuldigung einem Todesurteil gleich. Ein rechtskräftiges Gesetz gegen Hexerei hätte mißverstanden werden können als stillschweigendes Einverständnis mit den grausamen Massenmorden in den Zeiten der Hexenprozesse. Vielleicht wollte man sich im Namen der Menschlichkeit von diesen Gräueln distanzieren. Das ist ein ehrenwerter Standpunkt. Die Vorstellung, daß unzählige Menschen bestialisch gefoltert und bei lebendigem Leib verbrannt worden sind, nur weil ein neidischer Nachbar sich an ihnen rächen, ein verschmähter Liebhaber oder ein geschäftlicher Konkurrent ein Ventil für seine Wut suchte – diese Vorstellung kann bei jedem denkenden und fühlenden Menschen nur eines bewirken, nämlich daß er sagt: So etwas darf nie wieder geschehen!

Unschuldige vor Schaden an Leib und Leben zu  bewahren, muß die erste Pflicht jedes Staates sein. Allerdings: Es ließe sich durchaus auch die Überzeugung begründen, daß aus genau diesem Grund ein Verbot der Hexerei nötig ist… Wer allerdings ein gesetzliches Verbot der Hexerei fordert, der muß letztlich auch die Frage beantworten können, wie man vor Gericht einen Verstoß gegen dieses Gesetz beweisen soll, und zwar so, daß kein Unschuldiger verurteilt werden kann. Dieses Problem wird kaum zu lösen sein.

Die Tatsache, daß Verbrechen, die auf magischem Wege verübt worden sind, kaum nachgewiesen werden können, ist der beste Schutz vor Strafverfolgung, den sich eine Hexe oder ein Magier vorstellen kann. Wer Unschuldige schützen will, nimmt immer das Risiko in Kauf, daß auch mal ein Schuldiger davon profitiert. Und daraus folgt: Kein Mensch kann Dir so ohne weiteres das Handwerk legen. Jedenfalls nicht auf juristischem Weg. Also kannst Du in aller Seelenruhe weitermachen wie bisher. Und wenn ich Dir sage, daß Gott Dich bestrafen wird, dann wirst Du dieses Argument kaum ernst nehmen, weil es für Dich nämlich gar keines ist. In Deinem Weltbild ist kein Platz mehr für Gott. Insofern hältst Du natürlich auch alles, was die Bibel als Gottes Wort über Zauberei sagt, für absolut irrelevant. Dein Argument ist: Die Sache funktioniert und bringt Vorteile. Das ist mittlerweile Deine Art zu denken.

Aber wohin hat Dich das alles gebracht? Ich habe versucht, die Stationen Deines Weges noch einmal nachzuzeichnen in der Hoffnung, daß Du erkennst, wie folgerichtig sich eins aus dem anderen ergeben hat. Wäre Dein Leben ein Film, dann müßte man fürchten, daß der Teufel das Drehbuch geschrieben hat. Es gab Zeiten, da wäre Dir nie in den Sinn gekommen, etwas Böses zu tun. Kannst Du Dich daran noch erinnern?

Es gab Zeiten, da hättest Du niemals bewußt und vorsätzlich etwas getan, was einem anderen Menschen schadet.

Es gab Zeiten, da hattest Du noch ein Gewissen.

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